Nachruf für Hartmuth heute, 26.08.2011, im Tagesspiegel:
Hartmuth Wiedenroth (Geb. 1948)
„Ich stehe dazu, dass ich mich den halben Tag mit Knut beschäftige“
In einem kleinen Reisebüro in Wedding brennt eine Kerze auf dem Schreibtisch von Hartmuth Wiedenroth. Dahinter hat Herr Ünal ein Foto aufgestellt: ein Mann mit Schnauzbart in Rollkragenpullover und Windjacke vor einer Felsenlandschaft. Ein verhaltenes Lächeln, warm und seltsam scheu zugleich. Das Bild muss an einem Sonntag entstanden sein, denn die Felsen hinter Hartmuth gehören zu dem Ort, dessen Besuch über Jahre für ihn der Höhepunkt einer jeden Woche war, der Besuch bei den Eisbären im Berliner Zoo.
Herr Ünal und Hartmuth Wiedenroth lernten sich bei der Arbeit kennen, im Alcatel Kabelwerk in Neukölln. Eigentlich standen sie sich als natürliche Gegner gegenüber, Hartmuth der Abteilungsleiter, Vorgesetzter von fast hundert Mann, und Herr Ünal, der Betriebsrat.
Aber Hartmuth verstand sein Chefsein etwas anders als üblich. Er war schließlich allein wegen seines Fachwissens Chef geworden; eigentlich galt er als zu weich und lieb. Die meisten seiner Leute kamen aus der Türkei, Hartmuth schloss Freundschaften, lernte Türkisch und fuhr als einer der ersten Deutschen im Urlaub mit dem Auto quer durch das Land.
Als seine Abteilung geschlossen werden sollte, arbeitete Hartmuth so lange den Sozialplan ab, bis keiner seiner Mitarbeiter mehr da war und er sich schließlich selbst überflüssig gemacht hatte. Dann fiel er in ein tiefes Loch. Da bot ihm Herr Ünal eine Stelle an. In dem kleinen türkischen Reisebüro, das er schon lange nebenher betrieben hatte, konnte er Hilfe gut gebrauchen.
Niemand weiß mehr so genau, wann die Liebe zu den Tieren Hartmuth erfasste. Sein Freund Engin, der jeden Morgen um zehn auf eine Tasse Kaffee ins Büro kam, erinnert sich, dass es mit einem schwächlichen Schwan am Tegeler See begann, dann war es ein junger Braunbär in der Türkei, dessen Mutter erschossen wurde, für den er sich einsetzte.
Hartmuth konnte wunderbar erzählen von seinen Tieren, ihren Geschichten, den lustigen und manchmal dramatischen. Im Spreewald beobachtete und fotografierte er Störche. Die Bilder veröffentlichte er im Internet auf Seiten anderer Tierfreunde und schrieb kurze Texte ins Gästebuch. Was folgte, muss den stillen Hartmuth Wiedenroth in seiner Reinickendorfer Junggesellenwohnung überwältigt haben. Rückmeldungen von Storchenfans aus allen Himmelsrichtungen. Er schloss Freundschaft mit einer Grundschulklasse aus Gummersbach und deren Lehrerin, als die Zugvögel auf deren Lehrplan standen. Schulkinder aus Ohio meldeten sich, und Hartmuth organisierte Storchenbrieffreundschaften zwischen den Kontinenten.
Für den wachsenden virtuellen Freundeskreis gründete er vor acht Jahren die Internetseite „World of Animals“. Nach dem Arbeitstag im Reisebüro begann das Leben und die Arbeit im Internet. Forumsbeiträge beantworten, redigieren, Fotos hochladen. Das Gästebuch empfand er als „Couch in meinem Wohnzimmer“ und bevor er an sich selbst dachte, kümmerte er sich um die Gäste, die dort auf ihn warteten. Zum Abendessen kam er oft nicht vor Mitternacht.
„Ich stehe dazu, dass ich mich den halben Tag mit Knut beschäftige.“ Aus Hartmuths Mund klang das ganz selbstverständlich. Es war ihm egal, ob sich Leute über sein Knut-Tagebuch im Internet lustig machten. Seit der Geburt des Eisbärenjungen im Berliner Zoo stiegen die Zugriffszahlen auf „World of Animals“ in die Millionen. Sonntags im Zoo am Bärengehege traf er immer öfter seine Leser und Internet-Bekanntschaften persönlich.
Mit seiner Initiative „Knut forever in Berlin“ sammelten er und seine Mitstreiter zehntausende Unterschriften für den Verbleib des Bären in Berlin. Der schüchterne Herr Wiedenroth gab jetzt Interviews, ließ sich mit dem Bürgermeister fotografieren und organisierte Geburtstagspartys für Knut.
Ein paar Wochen nach Knut starb Harthmut Wiedenroth, ebenso plötzlich und unerwartet. Sein letzter Gruß auf der Internetseite lautete: „Ich wünsche Tier und Mensch eine gute und friedliche Nacht. Good night, world.“ Sebastian Rattunde
Hartmuth Wiedenroth (Geb. 1948)
„Ich stehe dazu, dass ich mich den halben Tag mit Knut beschäftige“
In einem kleinen Reisebüro in Wedding brennt eine Kerze auf dem Schreibtisch von Hartmuth Wiedenroth. Dahinter hat Herr Ünal ein Foto aufgestellt: ein Mann mit Schnauzbart in Rollkragenpullover und Windjacke vor einer Felsenlandschaft. Ein verhaltenes Lächeln, warm und seltsam scheu zugleich. Das Bild muss an einem Sonntag entstanden sein, denn die Felsen hinter Hartmuth gehören zu dem Ort, dessen Besuch über Jahre für ihn der Höhepunkt einer jeden Woche war, der Besuch bei den Eisbären im Berliner Zoo.
Herr Ünal und Hartmuth Wiedenroth lernten sich bei der Arbeit kennen, im Alcatel Kabelwerk in Neukölln. Eigentlich standen sie sich als natürliche Gegner gegenüber, Hartmuth der Abteilungsleiter, Vorgesetzter von fast hundert Mann, und Herr Ünal, der Betriebsrat.
Aber Hartmuth verstand sein Chefsein etwas anders als üblich. Er war schließlich allein wegen seines Fachwissens Chef geworden; eigentlich galt er als zu weich und lieb. Die meisten seiner Leute kamen aus der Türkei, Hartmuth schloss Freundschaften, lernte Türkisch und fuhr als einer der ersten Deutschen im Urlaub mit dem Auto quer durch das Land.
Als seine Abteilung geschlossen werden sollte, arbeitete Hartmuth so lange den Sozialplan ab, bis keiner seiner Mitarbeiter mehr da war und er sich schließlich selbst überflüssig gemacht hatte. Dann fiel er in ein tiefes Loch. Da bot ihm Herr Ünal eine Stelle an. In dem kleinen türkischen Reisebüro, das er schon lange nebenher betrieben hatte, konnte er Hilfe gut gebrauchen.
Niemand weiß mehr so genau, wann die Liebe zu den Tieren Hartmuth erfasste. Sein Freund Engin, der jeden Morgen um zehn auf eine Tasse Kaffee ins Büro kam, erinnert sich, dass es mit einem schwächlichen Schwan am Tegeler See begann, dann war es ein junger Braunbär in der Türkei, dessen Mutter erschossen wurde, für den er sich einsetzte.
Hartmuth konnte wunderbar erzählen von seinen Tieren, ihren Geschichten, den lustigen und manchmal dramatischen. Im Spreewald beobachtete und fotografierte er Störche. Die Bilder veröffentlichte er im Internet auf Seiten anderer Tierfreunde und schrieb kurze Texte ins Gästebuch. Was folgte, muss den stillen Hartmuth Wiedenroth in seiner Reinickendorfer Junggesellenwohnung überwältigt haben. Rückmeldungen von Storchenfans aus allen Himmelsrichtungen. Er schloss Freundschaft mit einer Grundschulklasse aus Gummersbach und deren Lehrerin, als die Zugvögel auf deren Lehrplan standen. Schulkinder aus Ohio meldeten sich, und Hartmuth organisierte Storchenbrieffreundschaften zwischen den Kontinenten.
Für den wachsenden virtuellen Freundeskreis gründete er vor acht Jahren die Internetseite „World of Animals“. Nach dem Arbeitstag im Reisebüro begann das Leben und die Arbeit im Internet. Forumsbeiträge beantworten, redigieren, Fotos hochladen. Das Gästebuch empfand er als „Couch in meinem Wohnzimmer“ und bevor er an sich selbst dachte, kümmerte er sich um die Gäste, die dort auf ihn warteten. Zum Abendessen kam er oft nicht vor Mitternacht.
„Ich stehe dazu, dass ich mich den halben Tag mit Knut beschäftige.“ Aus Hartmuths Mund klang das ganz selbstverständlich. Es war ihm egal, ob sich Leute über sein Knut-Tagebuch im Internet lustig machten. Seit der Geburt des Eisbärenjungen im Berliner Zoo stiegen die Zugriffszahlen auf „World of Animals“ in die Millionen. Sonntags im Zoo am Bärengehege traf er immer öfter seine Leser und Internet-Bekanntschaften persönlich.
Mit seiner Initiative „Knut forever in Berlin“ sammelten er und seine Mitstreiter zehntausende Unterschriften für den Verbleib des Bären in Berlin. Der schüchterne Herr Wiedenroth gab jetzt Interviews, ließ sich mit dem Bürgermeister fotografieren und organisierte Geburtstagspartys für Knut.
Ein paar Wochen nach Knut starb Harthmut Wiedenroth, ebenso plötzlich und unerwartet. Sein letzter Gruß auf der Internetseite lautete: „Ich wünsche Tier und Mensch eine gute und friedliche Nacht. Good night, world.“ Sebastian Rattunde
Viele Grüße von
Brit
„Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“
Antoine de Saint-Exupéry
Brit
„Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“
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