Wie Chinas Spatz zum gefiederten Volksfeind wurde
Anfang der Woche stoppten Verkehrsbeamte im Pekinger Stadtteil Fengtai einen Lieferwagen, aus dem verdächtiges Vogelgezirp tönte. Sie fanden Dutzende Käfige mit rund 3000 eingepferchten Spatzen.
Die Vögel wurden freigelassen, die beiden Händler verhaftet. Die Fallensteller hatten sie mit Schlingen gefangen und wollten sie heimlich verkaufen. Noch vor fünf Jahren wurde "Spatz am Spieß" als lokale Delikatesse auf dem Nachtmarkt der City angeboten. Über Razzien setzten Pekings Behörden ihre 2001 erlassene Tierschutzverordnung durch. Spatzen fallen unter die Rubrik "schützenswert". Ein Jahr zuvor hatte das Forstamt sie als Nutzvögel auf Platz 633 seiner Artenschutzliste gesetzt. Denn es gibt kaum noch Spatzen. Ihre vor 50 Jahren beginnende Leidensgeschichte in China ist ein Lehrbeispiel für Pekings zerstörerische Eingriffe in die Natur. Vom Umgang mit dem kleinen Spatz führt ein direkter Link zu den weltweiten Debatten über globale Erwärmung oder Klimawandel durch Erosion der Böden und Abholzung der Wälder. Er ist symptomatischer als der vom Aussterben bedrohte, aber viel niedlichere Panda. Chinesische Bücher und Zeitschriften deuten solche Zusammenhänge nur an. Mehr lässt die Zensur nicht zu.
1957 mussten alle 600 Millionen Chinesen gegen die Spatzen antreten, die der Nation angeblich alles Getreide wegfraßen. Mao Tsetung machte den Feldzug zur Chefsache. Im September 1957 rief er auf dem achten Parteitag zur Massenhatz auf: "China muss zu einem Land werden, in dem es keine vier Schädlinge, keine Ratten, Spatzen, Fliegen und Moskitos gibt. Der international renommierte Universalgelehrte Guo Moruo gab den sozialistischen Hofpoeten ab: "Du Mistvogel, Verbrecher seit Tausenden Jahren, heute rechnen wir mit Dir ab". Im Frühjahr 1958 erreichte der kollektive Wahn seinen Höhepunkt. Der Staat führte Buch. 401160 Spatzen wurden in der Hauptstadt vom 19. bis 21. April von drei Millionen Pekinger zur Strecke gebracht. Die machten solange Heidenlärm, bis die hypersensiblen Vögel, die keinen Platz zum Ausruhen fanden, erschöpft zu Boden fielen. Als die Wissenschaftler Mao überzeugen konnten, dass Spatzen Schädlinge vertilgen, hatte das Land fast zwei Milliarden Vögel erschlagen. Hilflos sah es zu, wie sich Insekten und Ungeziefer rasend vermehrten. 1960 befahl Peking, die Vogeljagd zu beenden. Schulterzuckend räumte auch Mao seinen Irrtum ein.
"Nehmt die Spatzen von der Liste und schreibt die Kakerlaken drauf." Die Spatzen haben sich bis heute nicht erholt. Obwohl sie unter Naturschutz stehen, fallen sie hochgiftigen Pestiziden zum Opfer, mit denen die Felder für bessere Ernten besprüht werden, fanden Umweltwissenschaftler wie Sichuans Professor Guo Yanshu heraus. Pekings Politiker aber, die sich gerade erst wegen Versagen in ihrer jüngsten Umweltpolitik auf dem Volkskongress Asche auf ihr Haupt streuen und vorbildlich Umdenken versprechen, lassen sich ungern an die peinliche Episode vor 50 Jahren erinnern. Dafür ist ihnen der geschützte Spatz doch zu sehr ein politischer Vogel.
debatte.welt.de/kolumnen/55/me…iederten+volksfeind+wurde
Anfang der Woche stoppten Verkehrsbeamte im Pekinger Stadtteil Fengtai einen Lieferwagen, aus dem verdächtiges Vogelgezirp tönte. Sie fanden Dutzende Käfige mit rund 3000 eingepferchten Spatzen.
Die Vögel wurden freigelassen, die beiden Händler verhaftet. Die Fallensteller hatten sie mit Schlingen gefangen und wollten sie heimlich verkaufen. Noch vor fünf Jahren wurde "Spatz am Spieß" als lokale Delikatesse auf dem Nachtmarkt der City angeboten. Über Razzien setzten Pekings Behörden ihre 2001 erlassene Tierschutzverordnung durch. Spatzen fallen unter die Rubrik "schützenswert". Ein Jahr zuvor hatte das Forstamt sie als Nutzvögel auf Platz 633 seiner Artenschutzliste gesetzt. Denn es gibt kaum noch Spatzen. Ihre vor 50 Jahren beginnende Leidensgeschichte in China ist ein Lehrbeispiel für Pekings zerstörerische Eingriffe in die Natur. Vom Umgang mit dem kleinen Spatz führt ein direkter Link zu den weltweiten Debatten über globale Erwärmung oder Klimawandel durch Erosion der Böden und Abholzung der Wälder. Er ist symptomatischer als der vom Aussterben bedrohte, aber viel niedlichere Panda. Chinesische Bücher und Zeitschriften deuten solche Zusammenhänge nur an. Mehr lässt die Zensur nicht zu.
1957 mussten alle 600 Millionen Chinesen gegen die Spatzen antreten, die der Nation angeblich alles Getreide wegfraßen. Mao Tsetung machte den Feldzug zur Chefsache. Im September 1957 rief er auf dem achten Parteitag zur Massenhatz auf: "China muss zu einem Land werden, in dem es keine vier Schädlinge, keine Ratten, Spatzen, Fliegen und Moskitos gibt. Der international renommierte Universalgelehrte Guo Moruo gab den sozialistischen Hofpoeten ab: "Du Mistvogel, Verbrecher seit Tausenden Jahren, heute rechnen wir mit Dir ab". Im Frühjahr 1958 erreichte der kollektive Wahn seinen Höhepunkt. Der Staat führte Buch. 401160 Spatzen wurden in der Hauptstadt vom 19. bis 21. April von drei Millionen Pekinger zur Strecke gebracht. Die machten solange Heidenlärm, bis die hypersensiblen Vögel, die keinen Platz zum Ausruhen fanden, erschöpft zu Boden fielen. Als die Wissenschaftler Mao überzeugen konnten, dass Spatzen Schädlinge vertilgen, hatte das Land fast zwei Milliarden Vögel erschlagen. Hilflos sah es zu, wie sich Insekten und Ungeziefer rasend vermehrten. 1960 befahl Peking, die Vogeljagd zu beenden. Schulterzuckend räumte auch Mao seinen Irrtum ein.
"Nehmt die Spatzen von der Liste und schreibt die Kakerlaken drauf." Die Spatzen haben sich bis heute nicht erholt. Obwohl sie unter Naturschutz stehen, fallen sie hochgiftigen Pestiziden zum Opfer, mit denen die Felder für bessere Ernten besprüht werden, fanden Umweltwissenschaftler wie Sichuans Professor Guo Yanshu heraus. Pekings Politiker aber, die sich gerade erst wegen Versagen in ihrer jüngsten Umweltpolitik auf dem Volkskongress Asche auf ihr Haupt streuen und vorbildlich Umdenken versprechen, lassen sich ungern an die peinliche Episode vor 50 Jahren erinnern. Dafür ist ihnen der geschützte Spatz doch zu sehr ein politischer Vogel.
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