Wo ständig neues Land entsteht
20 Jahre Nationalparks in Mecklenburg-Vorpommern - Paradies für Vogelkundler, Wanderer und Radfahrer
Die Strände am Darßer Ort im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft sind teilweise unberührt. Hier entstehen im Jahr mehrere Meter neues Land. (Foto: Sebastian Haas)
Von Sebastian Haas
Haben Sie schon mal Gras wachsen sehen? Im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft geht das. Die Strände an der Ostsee erweitern sich bis zu dreißig Meter im Jahr - oder werden regelrecht weggespült. Wer oft zu Gast ist, erkennt manche Orte kaum wieder.
Die Nähnadel Gottes ist der Vorbote. Wo diese anspruchslose Pflanze, die eigentlich Sandsegge heißt, in langen Fäden aus dem Sand wächst, wird sich bald eine kleine Matte aus Gräsern, Moos und Flechten ausbreiten. Im Windschatten dieser Pflanzen wachsen nur Monate später erste Sträucher und Heidekraut, bald folgen kleine Bäume. „Wenn Sie dann noch fünfzig Jahre warten, steht da ein Kiefernwald wie dieser“, sagt Friedemann Bartz und zeigt ein paar Meter ins Landesinnere.
Bartz ist Ranger im Nationalpark. Er führt Interessierte durch die Vorpommersche Boddenlandschaft und achtet darauf, dass Tier- und Pflanzenwelt ungestört gedeihen können - oder sterben. Nur wenige Meter entfernt kämpft eine knorrige alte Kiefer ums Überleben. „Beim nächsten Hochwasser wird sie weggespült“, meint Friedemann Bartz. „Hier ist eben nichts so beständig wie die Veränderung.“ Die nördlichsten zwei Kilometer des Darßer Orts, gelegen an der Nordspitze der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst, sind erst in den vergangenen 300 Jahren entstanden.
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Seeadler beobachten
auf der Insel Bock
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Der Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft besteht seit 1990. Seitdem wird die Natur an diesem Teil der Ostseeküste sich selbst überlassen. Die Insel Bock zum Beispiel wurde vor gut 75 Jahren künstlich angelegt, um die Fahrrinne für Schiffe nach Stralsund zu schützen. Dass sie heute von keinem Menschen mehr betreten wird, verdankt sie auch ihrer Vegetation. Der Wald ist dicht, das Schilf hoch, darin: Mücken, Zecken und sogar Wildschweine. Und am Himmel kreisen die Vögel. Gut 100 Arten - von Kranich und Kormoran bis zu Möwen und Schwalben - leben und nisten hier in Stückzahlen bis zu 250 000. An manchen Tagen kann man auch dem Seeadler bei der Jagd zusehen. Wer dieses Glück nicht hat, kann sich einfach der wunderschönen Landschaft und der Weite des Meeres hingeben. Schließlich bestehen gut 85 Prozent des Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft aus Wasser.
Auch im Müritz-Nationalpark mitten in der Mecklenburgischen Seenplatte ist das Wasser allgegenwärtig. 1000 Seen gibt es insgesamt im größten zusammenhängenden Seegebiet Europas, etwa 100 davon sind Teil des Nationalparks. Am Rande liegt die Müritz, der größte deutsche Binnensee. Der Name stammt aus dem Slawischen und bedeutet „Kleines Meer“ - und umgeben sind diese vielen kleinen Meere von nicht enden wollenden Wäldern.
Wo es so viel Wasser, Wald und Moore gibt, sind auch Vögel nicht weit. Hier im südlichen Mecklenburg sind Fisch- und Seeadler, Schwarzstorch, Eisvogel und Fischreiher heimisch. Im Herbst sind pro Tag bis zu 7000 Kraniche und Wildgänse auf der Durchreise. Wer da ganz genau hinschauen möchte, sollte ins Infozentrum Federow gehen. Denn dort überträgt eine Kamera live aus dem Horst des Fischadlers. 53 Paare nisten im Müritz-Nationalpark, die meisten übrigens auf Strommasten: Die sind stabil und bieten eine gute Sicht auf die Umgebung.
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400 Kilometer für
Wanderer und Radler
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Was diesen Nationalpark - ebenso wie den in den Vorpommerschen Bodden - für Besucher besonders schön macht: Er lässt sich auf alle erdenklichen Arten erschließen. Die Landschaft ist durchzogen von kleinen Hügeln, wird aber niemals bergig. Das ist ideal für Radfahrer und auch ungeübte Wanderer. Mit einem Spezialticket kann man auch einen Linienbus durch den Park nutzen. Und selbst auf dem Wasser ist die Seenlandschaft von Berlin oder Hamburg aus zu erreichen. Das Netz aus Wander- und Radwegen sowie Wasserstraßen ist gut 400 Kilometer lang.
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Bäume bestimmen
die Zukunft
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Wer aus dem Boot oder vom Fahrrad steigt, bemerkt in der Mecklenburgischen Seenplatte, dass 20 Jahre nach der Gründung des Nationalparks die Bäume mehr und mehr die Regie übernehmen. Rund um Serrahn gibt es noch Reste eines alten unberührten Buchenwalds. Gemeinsam mit anderen Nationalparks bewirbt sich der in der Mecklenburgischen Seenplatte nun um die Aufnahme ins UNESCO-Weltnaturerbe.
Auch am Großen Zillmannsee kann man beobachten, wie sich die Natur zurückholt, was ihr über Jahrzehnte genommen wurde. Vor 30 Jahren war die Gegend noch eine regelrechte Sandwüste, gepeinigt von Bränden und der Nutzung als Truppenübungsplatz. Heute sieht man vom nahe gelegenen Aussichtsturm Käflingsberg nichts als Seen, Wälder, Wälder und nochmals Wälder. Und vielleicht einen Fischadler - wenn er denn nahe genug vorbeifliegt.
INFO
· Anreise: Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft: per Auto auf A19 oder A20 bis Rostock oder Stralsund, auf der B105 in Richtung Fischland-Darß-Zingst; mit der Bahn über Hamburg nach Rostock oder Stralsund. Nationalpark Mecklenburgische Seenplatte: per Auto auf der A9 nach Berlin, auf A24 und A19 nach Waren (Müritz) oder auf der B198 nach Neustrelitz; mit der Bahn von Berlin nach Waren (Müritz).
· Sehenswürdigkeiten: Stadt Waren mit dem Müritzeum, einem Natur-Museum mit dem größten deutschen Süßwasseraquarium, mueritzeum.de. In einem 150 Jahre alten Leuchtturm am Darßer Ort ist das Natureum untergebracht, ein Museum zum Lebensraum Küste, meeresmuseum.de.
· Internet: auf-nach-mv.de, mecklenburgische-seenplatte.de, fischland-darss-zingst.de, mueritz-nationalpark.de.
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Sebastian Haas, ehemaliger PNP-Stipendiat, heute freier Journalist in Passau, recherchierte auf Einladung des Tourismusverbands Mecklenburg-Vorpommern.
20 Jahre Nationalparks in Mecklenburg-Vorpommern - Paradies für Vogelkundler, Wanderer und Radfahrer
Die Strände am Darßer Ort im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft sind teilweise unberührt. Hier entstehen im Jahr mehrere Meter neues Land. (Foto: Sebastian Haas)
Von Sebastian Haas
Haben Sie schon mal Gras wachsen sehen? Im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft geht das. Die Strände an der Ostsee erweitern sich bis zu dreißig Meter im Jahr - oder werden regelrecht weggespült. Wer oft zu Gast ist, erkennt manche Orte kaum wieder.
Die Nähnadel Gottes ist der Vorbote. Wo diese anspruchslose Pflanze, die eigentlich Sandsegge heißt, in langen Fäden aus dem Sand wächst, wird sich bald eine kleine Matte aus Gräsern, Moos und Flechten ausbreiten. Im Windschatten dieser Pflanzen wachsen nur Monate später erste Sträucher und Heidekraut, bald folgen kleine Bäume. „Wenn Sie dann noch fünfzig Jahre warten, steht da ein Kiefernwald wie dieser“, sagt Friedemann Bartz und zeigt ein paar Meter ins Landesinnere.
Bartz ist Ranger im Nationalpark. Er führt Interessierte durch die Vorpommersche Boddenlandschaft und achtet darauf, dass Tier- und Pflanzenwelt ungestört gedeihen können - oder sterben. Nur wenige Meter entfernt kämpft eine knorrige alte Kiefer ums Überleben. „Beim nächsten Hochwasser wird sie weggespült“, meint Friedemann Bartz. „Hier ist eben nichts so beständig wie die Veränderung.“ Die nördlichsten zwei Kilometer des Darßer Orts, gelegen an der Nordspitze der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst, sind erst in den vergangenen 300 Jahren entstanden.
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Seeadler beobachten
auf der Insel Bock
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Der Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft besteht seit 1990. Seitdem wird die Natur an diesem Teil der Ostseeküste sich selbst überlassen. Die Insel Bock zum Beispiel wurde vor gut 75 Jahren künstlich angelegt, um die Fahrrinne für Schiffe nach Stralsund zu schützen. Dass sie heute von keinem Menschen mehr betreten wird, verdankt sie auch ihrer Vegetation. Der Wald ist dicht, das Schilf hoch, darin: Mücken, Zecken und sogar Wildschweine. Und am Himmel kreisen die Vögel. Gut 100 Arten - von Kranich und Kormoran bis zu Möwen und Schwalben - leben und nisten hier in Stückzahlen bis zu 250 000. An manchen Tagen kann man auch dem Seeadler bei der Jagd zusehen. Wer dieses Glück nicht hat, kann sich einfach der wunderschönen Landschaft und der Weite des Meeres hingeben. Schließlich bestehen gut 85 Prozent des Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft aus Wasser.
Auch im Müritz-Nationalpark mitten in der Mecklenburgischen Seenplatte ist das Wasser allgegenwärtig. 1000 Seen gibt es insgesamt im größten zusammenhängenden Seegebiet Europas, etwa 100 davon sind Teil des Nationalparks. Am Rande liegt die Müritz, der größte deutsche Binnensee. Der Name stammt aus dem Slawischen und bedeutet „Kleines Meer“ - und umgeben sind diese vielen kleinen Meere von nicht enden wollenden Wäldern.
Wo es so viel Wasser, Wald und Moore gibt, sind auch Vögel nicht weit. Hier im südlichen Mecklenburg sind Fisch- und Seeadler, Schwarzstorch, Eisvogel und Fischreiher heimisch. Im Herbst sind pro Tag bis zu 7000 Kraniche und Wildgänse auf der Durchreise. Wer da ganz genau hinschauen möchte, sollte ins Infozentrum Federow gehen. Denn dort überträgt eine Kamera live aus dem Horst des Fischadlers. 53 Paare nisten im Müritz-Nationalpark, die meisten übrigens auf Strommasten: Die sind stabil und bieten eine gute Sicht auf die Umgebung.
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400 Kilometer für
Wanderer und Radler
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Was diesen Nationalpark - ebenso wie den in den Vorpommerschen Bodden - für Besucher besonders schön macht: Er lässt sich auf alle erdenklichen Arten erschließen. Die Landschaft ist durchzogen von kleinen Hügeln, wird aber niemals bergig. Das ist ideal für Radfahrer und auch ungeübte Wanderer. Mit einem Spezialticket kann man auch einen Linienbus durch den Park nutzen. Und selbst auf dem Wasser ist die Seenlandschaft von Berlin oder Hamburg aus zu erreichen. Das Netz aus Wander- und Radwegen sowie Wasserstraßen ist gut 400 Kilometer lang.
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Bäume bestimmen
die Zukunft
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Wer aus dem Boot oder vom Fahrrad steigt, bemerkt in der Mecklenburgischen Seenplatte, dass 20 Jahre nach der Gründung des Nationalparks die Bäume mehr und mehr die Regie übernehmen. Rund um Serrahn gibt es noch Reste eines alten unberührten Buchenwalds. Gemeinsam mit anderen Nationalparks bewirbt sich der in der Mecklenburgischen Seenplatte nun um die Aufnahme ins UNESCO-Weltnaturerbe.
Auch am Großen Zillmannsee kann man beobachten, wie sich die Natur zurückholt, was ihr über Jahrzehnte genommen wurde. Vor 30 Jahren war die Gegend noch eine regelrechte Sandwüste, gepeinigt von Bränden und der Nutzung als Truppenübungsplatz. Heute sieht man vom nahe gelegenen Aussichtsturm Käflingsberg nichts als Seen, Wälder, Wälder und nochmals Wälder. Und vielleicht einen Fischadler - wenn er denn nahe genug vorbeifliegt.
INFO
· Anreise: Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft: per Auto auf A19 oder A20 bis Rostock oder Stralsund, auf der B105 in Richtung Fischland-Darß-Zingst; mit der Bahn über Hamburg nach Rostock oder Stralsund. Nationalpark Mecklenburgische Seenplatte: per Auto auf der A9 nach Berlin, auf A24 und A19 nach Waren (Müritz) oder auf der B198 nach Neustrelitz; mit der Bahn von Berlin nach Waren (Müritz).
· Sehenswürdigkeiten: Stadt Waren mit dem Müritzeum, einem Natur-Museum mit dem größten deutschen Süßwasseraquarium, mueritzeum.de. In einem 150 Jahre alten Leuchtturm am Darßer Ort ist das Natureum untergebracht, ein Museum zum Lebensraum Küste, meeresmuseum.de.
· Internet: auf-nach-mv.de, mecklenburgische-seenplatte.de, fischland-darss-zingst.de, mueritz-nationalpark.de.
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Sebastian Haas, ehemaliger PNP-Stipendiat, heute freier Journalist in Passau, recherchierte auf Einladung des Tourismusverbands Mecklenburg-Vorpommern.
Praktiker haben Deutschland wieder aufgebaut und Theoretiker richten es zu Grunde!